Baustelle 4.0

Die digitale (R)Evolution im Bauwesen

Die Baubranche hat die 4. industrielle Revolution eingeläutet. Neue Technologien versprechen rationellere Abläufe im Büro und auf der Baustelle mehr Termin- und Kostensicherheit. Wir werfen einen Blick auf die Baustelle von morgen.

Medienbrüche, Mehrfacheingaben, mangelnde Absprachen zwischen den Projektbeteiligten, unterschiedliche Kommunikationswege, Daten und Softwarewerkzeuge bestimmen den Planungs- und Baualltag. Fehler, Termin- und Kostenüberschreitungen sowie eine geringere Produktivität der Baubranche sind die Folge. In den vergangenen zehn Jahren stieg diese hierzulande lediglich um 4 %, die deutsche Wirtschaft konnte ihre Produktivität dagegen um 11 % steigern. Während in anderen Industriezweigen durchgängige digitale Prozessketten – von der Konzeption über die Planung und Entwicklung bis zur Fertigung – längst Standard sind, gibt es am Bau noch viel Aufholbedarf. Aufholen und mit anderen Industriezweigen gleichziehen muss die Baubranche, denn auch sie wird sich mittel- und langfristig den Herausforderungen der Globalisierung, der Urbanisierung, des Klimawandels, der Ressourcenverknappung oder des demographischen Wandels stellen müssen.

Industrie 4.0 auf der Baustelle?

Industrielle Fertigungsabläufe lassen sich zwar kaum mit Bauvorhaben vergleichen. Schließlich werden auf der Baustelle keine Massenprodukte hergestellt, sondern im Rahmen arbeitsteiliger, handwerklicher Tätigkeiten individuelle Projekte meist in der Stückzahl 1 realisiert. Dennoch lassen sich Teile von Industrie 4.0 auf den Baubereich übertragen. Das Schlagwort der „vierten industriellen Revolution“ steht für ein Zukunftsprojekt des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF). Wesentliche Merkmale von Industrie 4.0 sind u.a. eine durchgängige Digitalisierung der Fertigung und Logistik, die Vernetzung autonomer „intelligenter“ Objekte und Systeme oder die Nutzung selbstlernender Systeme, mit dem Ziel, Prozesse zu flexibilisieren und zu optimieren. Auf den Baubereich übertragen ist ein wichtiger Schritt hin zur Industrie 4.0 die Digitalisierung sämtlicher Bauabläufe und über alle Bauphasen hinweg.

Die Digitalisierung bildet die Grundlage der digitalen Transformation, umfasst die gesamte Wertschöpfungskette und schließt alle Planungs-, Produktions-, Bestell-, Liefer- und Montageprozesse, aber auch betriebswirtschaftliche Abläufe ein. Werden Informationen und Prozesse über alle Gewerke und Bauphasen hinweg konsequent digitalisiert und miteinander vernetzt, lassen sich Arbeitsabläufe optimieren, Produktivitäten steigern, Datenredundanzen vermeiden und Fehlerquellen minimieren. Einen bedeutenden Schritt in Richtung Digitalisierung hat inzwischen die Bauplanung mit dem Einsatz von IT-, CAD-, AVA- und anderen Planungswerkzeugen vollzogen. Mit der Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) bereitet die Baubranche aktuell die nächste Etappe auf dem Weg in Richtung Digitalisierung vor.

BIM als Basis digitaler Prozessketten

BIM entwickelt sich mittel- und langfristig auch hierzulande zu einem Standard und unterstützt damit den nächsten technologischen Schritt. Auf der Grundlage von 3D-Gebäudedatenmodellen, klar definierten Verantwortlichkeiten, Qualitätsvorgaben, Koordinations- und Kommunikationsabläufen ermöglicht BIM statische, bauphysikalische oder energetische Optimierungen. Kosten, Massen-, Mengen- und Stücklisten werden aus dem 3D-Modell generiert und bei Änderungen aktualisiert, ebenso wie alle aus dem 3D-Modell automatisch abgeleiteten Ausführungs- und Montagepläne. Mithilfe von Modellcheckern lassen sich BIM-Modelle nicht nur auf Kollisionen und Fehler überprüfen, sie können darüber hinaus auch für Prüfungen auf Normenkonformität (Brandschutz, Schallschutz, EnEV, Barrierefreiheit etc.) eingesetzt werden. BIM-Modelle ermöglichen virtuelle Baustellenbesichtigungen und verbessern die Kommunikation mit Projektbeteiligten. Simulationen optimieren im Vorfeld das Gebäude, dessen Statik oder Haustechnik und ermöglichen die Vorwegnahme von Baustellenabläufen oder Nutzungsszenarien. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher Fachmodelle (z.B. für den Rohbau, das Baugelände, die Baustelleneinrichtung etc.) mit den geplanten Vorgängen im Bauzeiten- und Terminplan lassen sich zeitlich-räumliche Abhängigkeiten der Bauprozesse visualisieren und optimieren. Bei dieser „4D-Simulation“ werden zeitliche Abläufe über einen definierten Projektzeitraum visualisiert. Dadurch lassen sich – ähnlich der Fabrikationsplanung – gewerkeübergreifend geometrische oder zeitliche Konflikte aufdecken. Wird die 4D-Simulation zusätzlich um Baustoff-, Maschinen-, Ressourcen- oder Logistikdaten ergänzt, kann man per „5D-Simulation“ praktisch das komplette Bauvorhaben im Vorfeld virtuell realisieren und beispielsweise Engpässe bei den Ressourcen oder der Logistik erkennen. Baustellen-, Montage- und Logistikabläufe, wie das Aufstellen des Baukrans, die Belegung von Lagerflächen oder die Fertigteilanlieferung, können so optimiert werden.

Werden Bau- und Montageprozesse vorab simuliert, lassen sich, später nur schwer zu behebende, Fehler rechtzeitig erkennen und hohe Folgekosten vermeiden. Die kontinuierliche Visualisierung von Soll- und Ist-Ständen erleichtert die Steuerung der Baustelle, das Nachtragsmanagement oder Wirtschaftlichkeitsrechnungen.

Vom BIM zum CIM

Werk- und Detailpläne, Massen-, Mengen- und Stücklisten bilden derzeit meist den Endpunkt der CAD- oder BIM-Planung. Auf dieser Grundlage werden Baustoffe sowie -produkte bestellt und verbaut. Einen Schritt weiter geht die digitale Fertigung (Computer Integrated Manufacturing/Building). Dabei werden Planungsdaten direkt digital an die Produktion übergeben. Diese durchgängige Datennutzung ist bereits Standard, z.B. im Holz- und Betonfertigteilbau. CAD-Konstruktionsdaten bilden die Grundlage für die verschiedenen Produktionsschritte. Auf dieser Datengrundlage werden Steuerdaten für Maschinen und Anlagen berechnet, Produktionsabläufe geplant und optimiert und der aktuelle Status kontinuierlich dem ERP-/PPSSystem des Unternehmens zurückgemeldet. Über ein Tablet lässt sich der aktuelle Produktionsstand eines Auftrags zeitnah abfragen. Dadurch

sind Produktionsleiter stets auf dem aktuellen Stand, so dass die Fertigung optimal gesteuert werden kann. Maschinen, Anlagen und Fertigungsabläufe können so schneller auf neue Anforderungen angepasst werden. Unternehmen können flexibler auf Kundenwünsche und Markterfordernisse reagieren.

Eine medienbruchfreie digitale Fertigung, insbesondere komplex geformter Bauteile, ermöglicht

die „Additive Fertigung“, auch „3D-Druck“ genannt. Diese auf 3D-CAD-, respektive  BIM-Konstruktionsdaten basierende Technologie ermöglicht eine schnelle Herstellung individueller

Einzelobjekte oder Kleinserien, die mit anderen Verfahren nicht oder nur aufwendig produziert werden können. Dabei werden Objekte additiv aus einem flüssigen, pulverförmigen oder festen Ausgangsmaterial aus z.B. Kunststoff, Kunstharz, Keramik, Metall, oder Beton schichtweise aufgebaut. Die Technik steht im Baubereich erst am Anfang (z.B.: www.3druck.com/tags/3d-druckbauwesen).

„Mobile Computing“ und „Cloud Computing“

Werden Daten direkt auf der Baustelle digital erfasst oder Ressourcen und Material von der Baustelle aus gesteuert, lassen sich Medienbrüche, Mehrfacheingaben, unterschiedliche Datenstände und Terminverzögerungen vermeiden. Mit mobiler Hard- und Software sowie drahtlosen Kommunikationstechnologien werden Informationen genau dort eingegeben oder abgerufen, angezeigt oder modifiziert, wo sie gerade anfallen oder benötigt werden. So spart man Zeit und macht weniger Fehler. Mit dem Einsatz von „Mobile Computing“ sind digitale Prozessketten auf der Baustelle schon heute möglich – von der Auftragserfassung, über die Planung und Ausführung bis zur Realisierung/Montage. Immer mehr Bausoftwarelösungen offerieren dazu mobile Funktionen für die Zeiterfassung, das Aufmaß, die Material-/Ressourcenplanung etc. und ermöglichen so einen durchgängigen Datenfluss – vom Büro auf die Baustelle und zurück. Unterstützt wird der Mobilitätstrend zusätzlich durch internetbasierende Dienste und das „Cloud Computing“. Programme und Daten, die nicht mehr auf der Festplatte des eigenen PCs gespeichert, sondern auf Servern im Internet abgelegt sind, bieten den Vorteil des plattform-, zeit- und ortsunabhängigen Zugriffs auf Programme und Daten. Virtuelle Projekträume sind typische Anwendungsbeispiele für Cloud-Computing-Anwendungen, mit denen räumlich getrennte Projektteams gemeinsam an Bauprojekten auf einer identischen Datenbasis arbeiten können.

Vernetzung smarter Werkzeuge und Bauteile

Ein weiterer Digitalisierungsbaustein sind smarte Werkzeuge, Geräte, Maschinen, Baustoffe und Bauteile sowie deren Vernetzung. Sie helfen dabei, tatsächlich erbrachten Leistungen, verbaute Materialien und Bauteile auf der Baustelle über die gesamte Bauzeit zu dokumentieren und in das digitale BIM-Modell der Planer oder in Unternehmensressourcen und Produktionsplanungssysteme (ERP- und PPS) ausführender Unternehmen einzupflegen. Nur so können diese mit dem realen Baustellengeschehen Schritt halten und als verlässliche Entscheidungsgrundlage dienen. Das geschieht heute entweder halbautomatisch per mobiler Hardware oder per automatIsierter Identifikation und Datenerfassung (Auto-ID). Dabei kommen RFID (Radio-Frequenz-Identifikation)- oder Bluetooth- Funksysteme zur berührungslosen Objektidentifizierung und -lokalisierung zum Einsatz. Werden diese in Bauteile, Maschinen, Werkzeuge oder Fahrzeuge aufgebracht oder eingebaut, lassen sie sich mit stationären oder mobilen Lesegeräten berührungslos identifizieren und orten. Auf diese Weise erhält man smarte Bauteile mit dezentral gespeicherten Daten, die über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks genutzt werden können. Die Möglichkeiten reichen von der Steuerung von Bau- und Montageprozessen, der Echtzeitverfolgung von Bauteilen (Lieferung, Lagerung, Einbau), Abnahmen oder Leistungsverfolgungen über die Geräte-/Maschinenverbuchung, die Wartungs- und Instandhaltungskontrolle, die Rückverfolgbarkeit eingebauter Materialien bis hin zur Abbruchplanung (siehe z.B.: www.rfidimbau.de).

Wie könnte die Baustelle von Morgen aussehen?

BIM, IoT, „Mobile“ und „Cloud Computing“, „Big Data“ oder die Robotik werden Baustellen in Zukunft verändern und folgenden Szenarien real werden lassen: Nachdem das Bauvorhaben mithilfe „intelligenter“, wissensbasierter Kontroll- und Simulationssysteme wirtschaftlich, bautechnisch, statisch, haustechnisch, bauphysikalisch und energetisch optimiert, auf der virtuellen Baustelle als digitaler Zwilling erstellt – und damit die gröbsten Fehler im Vorfeld beseitigt wurden – beginnt die Bauausführung. Auf Grundlage des digitalen Modells werden Materialien und Bauteile bestellt, just-in-time auf die Baustelle geliefert und von Kran- und Transportrobotern selbstständig an den Montageort befördert. Anschließend werden die Bauteile von sensorgesteuerten Montagerobotern identifiziert, positioniert und eingebaut. Alle Planungs- und Bauabläufe werden automatisch dokumentiert und kontinuierlich überwacht. Durch die Vernetzung der Daten können auch kurzfristige Anpassungen oder auch individuelle Änderungen vorgenommen sowie Bauabläufe und das zu realisierende Bauobjekt optimiert werden. Jede Änderung am BIM-Modell hat zugleich eine Veränderung damit verknüpfter Vorgänge und Abläufe zur Folge, woraus automatisch Handlungs-anweisungen für alle Projektbeteiligten abgeleitet werden. Bauleiter werden bei ihren Controlling-Tätigkeiten durch automatische Analysen und Soll-/Ist- Vergleiche ebenso unterstützt wie Bauunternehmer bei der Arbeitsvorbereitung, Bestellung, Lieferung und Montageüberwachung. „Smarte“ Bauteile melden ihren Status an das GBIM-Modell zurück, Baukräne, -maschinen und -fahrzeuge stimmen sich untereinander ab, so dass Kollisionen vermieden und Probleme kurzfristig gelöst werden können. Ähnlich wie in der Automobilindustrie gewährleisten vollautomatisierte Prozesse einen reibungslosen Ablauf auf der Baustelle. Science Fiction? Nein, auf vielen Großbaustellen in Japan oder China sind Teilbereiche längst Alltag! Vielleicht fehlt ja nur die Bereitschaft, Neues auszuprobieren?

Weitere Infos, Literatur und Quellen

(Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit!)

www.5d-initiative.eu 5D-Initiative von ENCORD
www.bim-handwerk.de BIM im Handwerk
www.buildingsmart.de IFC/BIM-Anwendergruppe
www.buildingsmart-tech.org BuildingSmart International
www.wikipedia.de Suchwort „Industrie 4.0“ etc.

[1] Bock, T./Linner T.: „Construction Robots“, Lehrstuhl für Baurealisierung und Bauinformatik, TU München, 2017
[2] Gramazio, F./Kohler, M.: „Die programmierte Wand, Architektur und digitale Fabrikation“, ETH Zürich, 2006
[3] Günthner, W./Borrmann, A.: Digitale Baustelle – innovativer Planer, effizienter Ausführen, Werkzeuge und Methoden für das 21. Jahrundert, Springer, Heidelberg 2011
[4] N.N.: Baustelle 4.0 – Wie die aktuelle industrielle Revolution die Baubranche verändert,

www.baugewerbe-online.info

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