„Wir schaffen die Digitalisierung der Baustelle auf leichtem Weg“

Interview mit Andreas Steyer, Product Marketing Manager Procore Deutschland, zur Digitalisierung von Bauabläufen und „Deutscher Baupreis 2024“

Die aktuelle Bausituation bewegt Unternehmen zunehmend zur Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen. Welche Probleme sich im Bauablauf dadurch beseitigen lassen und wie Bauprojekte dadurch wesentlich effizienter werden, hat uns Andreas Steyer, Product Marketing Manager Central Europe, Procore, in einem Interview aufgezeigt. Das Softwareunternehmen für Baumanagent-Lösungen ist zudem Partner des Wettbewerbs „Deutscher Baupreis 2024“.

COMPUTER SPEZIAL: Hallo Herr Steyer. Wie schaut ein Software-Spezialist wie Sie auf die Baubranche?

Andreas Steyer: Durchaus positiv. Die Branche ist deutlich anders, als sie klischeehaft so gerne dargestellt wird, sie ist auch deutlich besser als ihr Ruf. Wir haben eine Studie gemacht, die belegt, dass die Klischees von der konservativen Branche, die so gesehen wird wie vor 30 oder 50 Jahren, einfach nicht stimmen (Anmerkung der Redaktion: Studie „How We Build Now“, siehe Infokasten).

 

COMPUTER SPEZIAL: Ist das ein Grund für Ihre Unterstützung
des Wettbewerbs „Deutscher Baupreis“?

Andreas Steyer: Ja. Ich bin seit 13 Jahren in der Baubranche unterwegs. Und mir ist immer wichtig gewesen, dass die Bauunternehmen gewürdigt werden, die vorangehen – sei es bei der Digitalisierung, sei es mit anderen innovativen Konzepten. Ja, man kann die Baubranche wesentlich effizienter machen, man kann wesentlich besser bauen. Aber es ist halt auch ein bisschen schwierig, so eine große Branche zu neuen Arbeitsmethoden zu bringen. Umso mehr begeistern mich die Vorreiter der Branche, die wir auf diesem Weg gerne unterstützen. Wir müssen zeigen, dass die Bauindustrie deutlich besser ist als ihr Ruf.

 

COMPUTER SPEZIAL: Wo liegen Ihre Schnittstellen zu Bauunternehmen und zu Bauprojekten?

Andreas Steyer: Bei Procore sind wir komplett auf Bauunternehmen ausgerichtet. Unser Gründer und CEO, Tooey Courtemanche, war selbst Bauunternehmer. Er hat dann für eine Zeit lang die Branche verlassen, aber als er selbst ein Haus bauen wollte, fiel ihm auf, wie wenig digitalisiert die Baubranche war. Er nahm das zum Anlass, Procore zu gründen und unsere Lösung zu entwickeln. Er wollte eine Plattform schaffen, die komplett darauf ausgerichtet war, den Bauprozess und die Ausführung von Bauprojekten wesentlich effizienter zu
machen.

 

COMPUTER SPEZIAL: Auf der einen Seite ist Bauen ein sehr individueller Prozess, bei dem viele Unikate entstehen. Auf der anderen Seite gibt es auch hier viele planbare und kontrollierbare Prozesse – von der Information der Mitarbeiter zu neuen Vorschriften bis zum Verhalten im Reklamationsfall.

Andreas Steyer: Ein Projekt und alle Abläufe im Vorfeld durchzuplanen oder Checklisten zur Qualitätskontrolle einzusetzen sind sicherlich nicht die schlechtesten Ideen. Und man muss schauen, was auf der Baustelle passiert, denn dort findet man immer wieder andere Situationen vor. Und genau das ist der Punkt, an dem wir mit Procore ansetzen.

 

COMPUTER SPEZIAL: In welcher Form?

Andreas Steyer: Wir fokussieren auf die Prozesse, die Kommunikation erfordern, wo sich verschiedene Beteiligte abstimmen und sich informieren müssen. Denn dazu werden oft die gleichen Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: ‚Das muss ich jetzt so oder anders machen – kannst Du mir die Entscheidung bestätigen?‘ Oder: ‚Wie sieht es mit diesem Nachtrag aus?‘ ‚Welcher Subunternehmer muss sich um dieses Problem lösen kümmern?‘ ‚Bis wann muss dieser Arbeitsfortschritt erledigt sein, damit wir halbwegs im Zeitplan bleiben?‘ Oder: ‚Monitoring, Inspektionen – wer hat was gemacht?‘

All diese Prozesse sollten digital ablaufen, damit jeder Beteiligte ständig den Überblick hat. Solche vorgefertigten Checklisten und Workflows kann Procore sehr gut abbilden und auf das jeweilige Projekt anpassen.

 

COMPUTER SPEZIAL: Wie wird BIM auf den Baustellen angenommen?

Andreas Steyer: Ich habe lange Jahre BIM-Lösungen entwickelt und auch in Firmen eingeführt. BIM macht alles so viel besser. Der Ansatz für Digitalisierung muss der Nutzwert sein. Aber der Schritt dahin ist groß.

 

COMPUTER SPEZIAL: Wie kriegt man das hin?

Andreas Steyer: Das ist in der Regel eine Frage der Kommunikation. Kommst Du zu einem erfahrenen Mitarbeiter, der sein Geschäft seit 30 Jahren beherrscht, und redest von ‚Digitalisierung‘, verzieht der erstmal das Gesicht. Wenn ich dem sage ‚ab morgen machst Du Building Information Modeling‘, ist es aus. Natürlich stößt es nicht immer auf Gegenliebe, von einem Mitarbeiter zu erwarten, sich um die Einführung digitaler Prozesse zu kümmern, wenn seine eigentliche Aufgabe das Projekt ist, und gelegentlich ist diese Sprache, ist dieses Wording hinderlich.

Erklärst Du dem Kollegen aber eine App, mit der er sich per Klick auf seinem Smartphone an- und abmelden kann, versteht der, dass er keine Stundenzettel mehr ausfüllen muss. Oder statt langer Berichte zu tippen, reicht es jetzt, mit seinem Smartphone ein Foto aufzunehmen und zu verschicken. Oder man erklärt: ‚Das, was Du jetzt auf dem Klemmbrett schreibst, schreib bitte nun aufs Tablet.‘

Wenn man die Digitalisierung in solch kleinen Schritten und Funktionen einführt, sind Alter oder Background von Kolleginnen und Kollegen auf der Baustelle egal. Denn jeder dort hat ein Smartphone, jeder kann ein Tablet bedienen.

 

COMPUTER SPEZIAL: So bleibt die Arbeit, die die Beschäftigten auf der Baustelle machen, in der Basis die gleiche, aber es ist bequemer und spart Zeit – für alle Beteiligten.

Andreas Steyer: Ja, und das geht noch weiter. Wir haben viele unterschiedliche Nationalitäten auf der Baustelle, von denen nicht alle deutsch bzw. nicht gleich gut deutsch sprechen. Gerade diese Leute nutzen Tools wie Google Translator oder ähnliche Spracherkennungssoftware, um sich irgendwie verständlich zu machen.

Das ist auch etwas, was wir eingebaut haben. Da muss man nicht viel tippen, sondern spricht in sein Smartphone, dass dann transkribiert oder in die Sprache übersetzt, die man möchte. Das ist viel einfacher, als irgendetwas handschriftlich festzuhalten.

 

COMPUTER SPEZIAL: Welchen Funktionsumfang deckt Ihre Software ab?

Andreas Steyer: Grundsätzlich können wir alles abdecken, von der Kostenschätzung, Angebotsabgabe, Auftragsverwaltung, Nachunternehmer-Management, die ganze Ausführung bis hin zum Controlling – ‚wie steh ich im Budget‘, ‚welche Auswirkungen hat der Nachtrag, den mir ein Nachunternehmer gemeldet hat‘, ‚wie liege ich in den die Kosten‘ usw.

Wir empfehlen aber, mit dem Projektmanagement anzufangen, mit den Dingen, die auf der Baustelle passieren, die bei der Kommunikation mit den Nachunternehmern passieren. Da sind nicht nur die Effizienzgewinne sehr hoch; es lässt sich auch am leichtesten einführen.

Aber grundsätzlich haben Sie alles auf einer Plattform: Von der Angebotserstellung übers Chatten, um Rückfragen zu stellen, über Inspektion und Mängelverwaltung bis hin zur Zeiterfassung.

 

COMPUTER SPEZIAL: Ab welcher Unternehmensgröße macht es Sinn, auf eine solch umfassende Software zu setzen?

Andreas Steyer: Wir haben durchaus viele Kunden, die nicht so viele Mitarbeiter haben, die aber an vielen Projekten beteiligt sind. Die müssen halt viele Leute nach oben und nach unten managen. Egal wie groß oder klein ein Unternehmen ist – wer selbst mit Nachunternehmern arbeitet, ist bei uns gut aufgehoben. Wir sind aber auch bei vielen Nachunternehmern am Start.

COMPUTER SPEZIAL: Wie sieht es mit der Bedienbarkeit aus?

Andreas Steyer: Bevor wir in den deutschen Markt eingetreten sind, haben wir eine Untersuchung gemacht, haben Bauunternehmern die Plattform gezeigt, nach Wünschen, aber auch nach Bedenken gefragt.

 

COMPUTER SPEZIAL: Die Sorge um Datensicherheit?

Andreas Steyer: Das war auch meine erste Annahme; der Punkt wurde auch genannt, stand aber nicht ganz oben auf der Liste. Die Hauptsorge war in der Tat die Bedienbarkeit. ‚Unsere Fachleute können das sicherlich bedienen. Aber unsere Nachunternehmer, unsere Projektpartner vermutlich nicht …‘ – das war die Hauptsorge.

Die einfache Bedienung einer Software ist extrem wichtig. Deswegen liegt dort auch unser Hauptfokus. Wir wollen nichts überfrachten, und eine verständliche, eindeutige Bedienung ist eine klare Entwicklungsvorgabe. Und wir kriegen in dieser Hinsicht auch ein wirklich gutes Feedback von unseren Kunden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kundenunterstützung.

 

COMPUTER SPEZIAL: In welcher Hinsicht?

Andreas Steyer: Wir haben Online-Videos, wir haben Online-Zertifizierungen, wo man sich, Schritt für Schritt geführt, alles selbst beibringen kann, sodass man keine großen Schulungen machen muss. Für viele Unternehmen sind Schulungen problematisch: Die Software-Berater sind in der Regel lange ausgebucht, Termine zu bekommen ist schwierig. Man muss viele Kollegen zusammenrufen, die dann im Job fehlen. Der langsamste bestimmt das Tempo usw.

Wir setzen daher auf Online-Training, weil das für die Unternehmen organisatorisch und von den Kosten her besser passt. Jeder kann sein eigenes Tempo gehen, ohne andere auszubremsen. Darüber hinaus ist unsere Software auch so konzipiert, dass man sich die Bedienung gut selbst beibringen kann. Das ist eine wirkliche Entlastung für die Bauunternehmen.

 

COMPUTER SPEZIAL: Was ist aus Ihrer Wahrnehmung die größte Herausforderung für Bauunternehmen, oder für die Baubranche?

Andreas Steyer: Wir haben gerade im Rahmen einer Studie die Entscheider aus der Bauindustrie nach ihren Herausforderungen befragt. Die drei Hauptpunkte waren Lieferketten- bzw. Kostenprobleme, was man nicht immer voneinander trennen kann. Dann folgte der Fachkräftemangel – wie findet man die richtigen Leute fürs eigene Unternehmen.

 

COMPUTER SPEZIAL: Was war der dritte Punkt?

Andreas Steyer: Digitalisierung, Technologie. Es geht nicht nur um die Umstellung auf neue Prozesse, um die Einführung oder die Umstellung auf neue Software. Es geht auch um digitale Modelle, um 3D-Druck, um serielles Bauen, um Vorfertigung, Robotik oder künstliche Intelligenz.

Man kann nicht alles auf einmal machen, nicht alles gleichzeitig angehen. Man kann nicht all seinen Mitarbeitern heute auf morgen VR-Brillen aufsetzen. Ich glaube schon, dass es für Bauunternehmen sehr schwierig ist, hier den richtigen Weg und das richtige Timing zu finden. Was macht heute Sinn, was macht morgen Sinn? Das sind Fragen, auf die jedes Bauunternehmen seine eigene Antwort finden muss.

 

COMPUTER SPEZIAL: Wo steht dann Ihrer Meinung nach die Bauwirtschaft in zwei, drei Jahren? Wird sie tiefer in der Krise stecken, hat sie einen Weg herausgefunden?

Andreas Steyer: Ich bin da optimistisch. Im Wohnungsbau sind die Aufträge zwar stark eingebrochen, in anderen Bereichen aber nicht. Ich glaube, dass sich die Bauindustrie, eine relativ starke und widerstandsfähige Industrie, sich da relativ schnell wieder ‚berappeln‘ wird.

Die letzten Jahre waren gut, und die Bauindustrie hat trotzdem gemerkt, dass sie was tun muss, dass sie effizienter werden muss. Wenn uns das gelingt, könnten wir in guten Zeiten mehr schaffen, und in weniger guten Zeiten kostensparender arbeiten. Ich sehe, dass sich schon viele Bauunternehmen auf den richtigen Weg gemacht haben. Das wird sich in den nächsten Jahren auswirken.

 

COMPUTER SPEZIAL: Eine letzte Frage zum Deutschen Baupreis. Sie haben viele Kunden, kennen viele Unternehmen – welchem drücken sie besonders die Daumen?

Andreas Steyer: Ich weiß, dass es sehr viele Firmen gibt, die innovativ arbeiten. Ich will da kein Unternehmen besonders herausheben. Aber ich bin mir sicher, dass es einen würdigen Preisträger geben wird.

Studie „How We Build Now“

Baubranche investiert in schwierigen Zeiten verstärkt in Digitalisierung

Die Procore-Studie „How We Build Now“ liefert genauere Zahlen zum aktuellen Stand der Digitalisierung in der Branche. Befragt wurden 200 Entscheiderinnen und Entscheider aus Deutschland. Demnach haben rund drei Viertel der Bauunternehmen in den vergangenen Monaten aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage verstärkt in digitale Technologien investiert. Auffällig ist, dass der Trend vor allem von den größeren Unternehmen ausgeht: 85,8 % der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten haben ihre digitalen Investitionen erhöht, bei den kleinen Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten sind es 64 %.

Weitere Informationen bietet die Studie unter dem nachfolgenden Kurzlink bzw. beigefügten QR-Code.

www.t1p.de/CS-2-23-Studie-Procore

Deutscher Baupreis 2024

Mit welchen Prozessen und Abläufen bewältigen Unternehmen der Baubranche die Herausforderungen der heutigen Zeit – von Digitalisierung über Kostenexplosion, Lieferengpässen und Personalmangel bis hin zum Umweltschutz? Im Vordergrund des Wettbewerbs „Deutscher Baupreis 2024“ steht die unternehmerische Gesamtleistung im strategischen und operativen Bereich der bewerbenden Bauunternehmen. Diese werden in insgesamt zehn unterschiedlichen Kategorien bewertet; die fachliche Tiefe der Fragen richtet sich dabei nach der Unternehmensgröße.

Die Anmeldung und Teilnahme zum Deutschen Baupreis ist ab sofort unter www.deutscherbaupreis.de möglich. Die Preisverleihung erfolgt am 20. Februar 2024 im Rahmen der Messe digitalBAU in Köln.

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