„Die Digitalisierung hört nie wieder auf“

Eine Diskussion aus Sicht von Handwerk, Forschung und Softwareanbieter

Unter dem Motto „Was ist möglich, was ist nötig und wie gestaltet sich die weitere Entwicklung? in der Digitalisierung der Baubranche“ hat die COMPUTER SPEZIAL-Redaktion mit Alexander Fritsch, Geschäftsführer des Softwareunternehmens Werkules, Prof. Joaquin Diaz von der THM Gießen und Mario Simon, Inhaber des Handwerkbetriebs Team Simon, diskutiert. Die Beteiligten schildern die Probleme, Lösungen und Trends aus ihrer jeweiligen Sicht als Softwareanbieter, Wissenschaftler und Handwerker. Das Interview ist auch als Video verfügbar (siehe nachfolgenden Link).

COMPUTER SPEZIAL (CS): Die Baubranche tut sich schwer mit der Digitalisierung. Aus Ihrer Perspektive als Anbieter, Anwender und Forscher – was sind die Gründe?

Alexander Fritsch: Zum ersten liegt es Vielfach an der Mentalität und Altersstruktur in der Baubranche. Häufig wird die große Umstellung beim Implementierungsprozess einer neuen Software gescheut, nach dem Motto „Es hat doch vorher auch funktioniert“. Ein anderer Faktor ist der Irrglaube von hohen Anschaffungskosten für eine neue Software.

Prof. Joaquin Diaz: Die Problematik ist sicherlich vielfältig. Allerdings muss man sagen, dass im Handwerk bereits digitale Lösungen verwendet werden, jedoch häufig als sogenannte „Insellösungen“. Das sind Programme, die nur für einen bestimmten Anwendungsfall funktionieren, für andere aber nicht. Ein weiteres Problem ist, dass im Handwerk seit einigen Jahren eine extrem gute Auftragslage besteht, sodass vielen Verantwortlichen schlicht die Zeit fehlt, sich mit dem Aspekt Digitalisierung des eigenen Unternehmens zu beschäftigen. Da mangelt es leider auch am Weitblick. Ich bin mir aber sicher, dass sich das momentan zunehmend ändert. Die Digitalisierung ist bereits in den Köpfen, aber noch nicht in den Betrieben.

Mario Simon: Für mich ist das Kernproblem die Einstellung, wie Herr Fritsch sagt, dieses „Das haben wir schon immer so gemacht“. Teilweise ist einfach die Not noch nicht groß genug, um die Schritte in Richtung Digitalisierung zu gehen.

CS: Wie ließe sich die Situation aus Ihrer Sicht ändern?

Mario Simon: Grundsätzlich ist häufig das Problem, dass bei den Handwerkern die Offenheit und Neugierde auf Neues fehlt. Letztlich muss man das Thema aus unternehmerischer Sicht betrachten und Handwerkern den Mehrwert der Digitalisierung näherbringen. Außerdem muss Software einfach und praktikabel sein, sowohl in der Handhabung als auch im Design.

Alexander Fritsch: Das Ganze ist ein langfristiger Wandel, und man kann nicht erwarten, dass dieser in wenigen Jahren vollzogen wird. Aus Sicht eines Herstellers sollten wir die Kriterien erfüllen, die Herr Simon angesprochen hat: einfache Handhabung, leichte Verständlichkeit und auch Mehrsprachigkeit, um die Nachunternehmer und ihre häufig fremdsprachigen Mitarbeiter mitzunehmen. Zudem muss der Preis stimmen, hier können Abo-Modelle eine Lösung sein, da so die Investitionssumme auf einen längeren Zeitraum verteilt wird.

Prof. Joaquin Diaz: Es gibt verschiedene Wege, die z. T. auch bereits gegangen werden. So unterstützen bspw. die Kammern – IHK, Handwerk, Architekten etc. – ihre zughörigen Unternehmen bei der Digitalisierung. Außerdem bin ich überzeugt, dass die Baubranche umso offener und digitaler wird, umso mehr junge Menschen nachkommen. Außerdem wird die Effizienz digitalen Arbeitens immer offensichtlicher, und die Profitabilität. Daher bin ich sehr zuversichtlich, dass die Digitalisierung erfolgreich umgesetzt wird.

CS: Herr Fritsch, Werkules wurde von Handwerkern für Handwerker entwickelt. Können Sie die Hintergründe etwas erläutern?

Alexander Fritsch: Werkules ist vor fünf Jahren in einem Fliesenlegerbetrieb in Mittelhessen gestartet. Wir haben die Lösung anhand der realen Probleme der etwa 150 Mitarbeiter entwickelt und Schritt für Schritt ausgebaut. Zuerst war es eine organisatorische Software, dann kam das Controlling und später eine Zeiterfassung, ein Dashboard und eine Inventarisierung hinzu. Vor zwei Jahren haben wir uns entschlossen, Werkules als eigenständiges Unternehmen zu gründen.

CS: Herr Simon, merken Sie als Nutzer diesen Hintergrund, dass die Entwickler aus dem Handwerk stammen? Was unterscheidet die Software von anderen bzw. warum haben Sie sich dafür entschieden?

Mario Simon: Wir haben den Markt sondiert und Werkules hat unseren Vorstellungen entsprochen. Besonders überzeugt hat uns die sehr leichte Handhabung. Ich merke das bei unseren Angestellten im Büro, wir sind ungefähr 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Akzeptanz ihrerseits für die Lösung ist vorhanden, und sie arbeiten gerne damit. Der Nutzen der Anwendung wird ebenfalls deutlich, so sehen unsere Bauleiter z. B. auf einen Blick, ob sie in ihrem Projekt erfolgreich sind. Sogar unsere Buchhalterin, die jetzt 61 Jahre alt wird, sagt, dass ihr die Software hilft und dass sie dadurch mehr Freiräume für andere Aufgaben hat.

CS: Prof. Diaz, aus Ihrer Sicht: Funktioniert der Austausch zwischen Anwendern und Anbietern digitaler Angebote? Oder anders gefragt: Passen die Angebote der Softwareunternehmen und die Nachfrage bzw. der Bedarf seitens der Nutzer zueinander?

Prof. Joaquin Diaz: Die meisten Softwarelösungen sind aus der Praxis entstanden, aber viele sind veraltet. Es ist keine Seltenheit, dass Lösungen zehn, 20, 30 Jahre alt sind. Inzwischen gab es jedoch technologische Entwicklungen wie Cloud-Anwendungen. Das ist ein Problem, dass ältere Software aktualisiert und angepasst werden müsste. Dabei müssen die Lösungen viel stärker an den Kundenwünschen orientiert sein. Zudem fehlt hier fehlt manchmal die Unterstützung seitens der Anbieter, den Anwendern die Vorteile neuer Programme aufzuzeigen.

CS: Wie sähe diese Neu- bzw. Weiterentwicklung anhand der Kundenwünsche aus?

Prof. Joaquin Diaz: Diese Wünsche lassen sich durch einen stetigen Kontakt zu den Handwerksbetrieben messen. Dazu müssen die Anbieter allerdings den Willen haben, eine veraltete Lösung komplett zu erneuern. Aber genau das ist absolut notwendig, z. B. müssen wir weg von On-Premise- zu Cloud-Anwendungen, außerdem müssen Lösungen auch auf Mobilgeräten funktionieren. Das ist heute State-of-the-Art, doch viele Programme erfüllen diese Kriterien nicht.

CS: Herr Simon und Herr Fritsch, was meinen Sie zu diesem Punkt?

Mario Simon: Die fehlende Offenheit für neue Lösungen gibt es meines Erachtens auch auf Seiten der Entwickler. Nicht nur das Handwerk muss sich bewegen, auch die Softwareanbieter müssen ihr Angebot ändern. In vielen Programmen müssen bspw. das Design und die Nutzerfreundlichkeit verbessert werden.

Alexander Fritsch: Wenn man sich die Software im Handwerk anschaut, gibt es drei Varianten. Manche Anbieter haben sogenannte Legacy-Lösungen, die es wie Prof. Diaz angesprochen hat bereits sehr lange gibt. Da sind Aktualisierungen sehr aufwändig. Die zweite Kategorie sind Software-as-a-Service-Produkte, die schon in der Cloud sind. Und die dritte Variante sind tatsächlich Unternehmen, die noch mit Stift, Papier und vielen Excel-Dateien arbeiten – mit der entsprechenden Fehleranfälligkeit. 70 % der Betriebe haben z. B. keine digitale Zeiterfassung, die arbeiten noch mit Stundenzetteln. Da ist von uns Anbietern der Austausch mit der Praxis gefragt, dass wir hingehen und uns die konkreten Probleme anhören. Und bei der Umsetzung der Lösung müssen wir auf die erwähnte einfache Handhabung achten, bei der Zeiterfassung lässt sich das z. B. über zwei Buttons „Start“ und „Stopp“ realisieren.

CS: Herr Simon, haben Sie aktuell ein konkretes Problem, dass sich vielleicht durch Digitalisierung lösen bzw. verbessern ließe? Was bräuchten Sie dafür?

Mario Simon: Ja, es gibt ein konkretes Problem, das auf den ersten Blick banal scheint – die analoge Ablage. Niemand möchte die Ablage machen, aber sie ist extrem wichtig. Wenn die Daten nicht ordentlich in die digitale Bauakte übertragen werden, fehlen wichtige Informationen, die z. B. beim Erstellen von Rechnungen auch zu finanziellen Schäden führen können. Deswegen würde ich mir eine digitale Lösung wünschen, am liebsten wäre es mir, wenn man die Informationen nur einscannen muss und sie dann automatisch den entsprechenden Projekten zugeordnet werden. Das wäre eine enorme Entlastung, nicht nur zeitlich, weil sich so auch die Fehlerhäufigkeit reduziert.

CS: Prof. Diaz und Herr Fritsch, haben Sie einen Lösungsvorschlag für dieses Problem?

Alexander Fritsch: Wir haben eine so ähnliche Funktion in der Werkules-Software, die Eingangsrechnungen. Über Texterkennung ordnet die Software Dokumente den jeweiligen Rechnungen zu. Der Wunsch von Herrn Simon geht ja noch darüber hinaus, da müsste die Texterkennung, sprich die Künstliche Intelligenz, deutlich stärker angelernt werden. Aber langfristig geht es genau in diese Richtung, und so ein Programm wird möglich sein.

CS: Prof. Diaz, welche Entwicklungen bzgl. der Digitalisierung der Baubranche erwarten Sie kurz-, mittel- und langfristig?

Prof. Joaquin Diaz: Das ist eine sehr spannende Frage. Der erste Punkt ist eine Entwicklung bezüglich der On-Premise-Lösungen, also die Software auf einem bestimmten Computer. Da geht der Trend eindeutig in Richtung Cloud-Lösungen, die auf verschiedenen Plattformen funktionieren. Der Bedarf ist enorm, aber die Herausforderung ist, die ganzen alten Programme entsprechend zu ändern. Da jedoch die Vorteile riesig sind, geht die Entwicklung kurz- bis mittelfristig in diese Richtung. Unternehmen, die diesen Schritt nicht gehen, werden große Probleme bekommen, da bin ich mir sehr sicher.

Eine andere, eher mittel- bis langfristige Veränderung, ist die sogenannte modellbasierte Entwicklung von Projekten, z. B. mit BIM-Modellen. In einigen Bereichen funktioniert diese Vorgehensweise schon gut, sie ist aber noch nicht wirklich in der Praxis angekommen. Langfristig wird sie jedoch auch das Handwerk erreichen. Ein anderer Aspekt, den man deutlich bemerkt, ist die Künstliche Intelligenz. Ich denke, dass die KI recht kurzfristig Einzug in sehr viele Softwarelösungen finden wird. Und schließlich gibt es das Thema der durchgängigen Integration aller Geschäftsprozesse, das ist eine Sache, die kontinuierlich durchgeführt werden muss.

CS: Wie sollten sich Unternehmen der Branche darauf vorbereiten?

Prof. Joaquin Diaz: Die Digitalisierung beginnt im Kopf, und man muss verstehen, dass sie nie wieder aufhört. Sie bedeutet eine kontinuierliche, durchgängige Verbesserung aller Prozesse. Deswegen muss man die Kompetenzen der Schüler, der Absolventen von Hochschulen und der Mitarbeiter in den Unternehmen in diesem Bereich stetig verbessern. Dann werden wir diese Herkulesaufgabe lösen.

CS: Herr Fritsch, welche Pläne hat Werkules für die nahe Zukunft?

Alexander Fritsch: Wir möchten den Bereich Kalkulation in die Software aufnehmen, und auch mit dem Thema Künstliche Intelligenz beschäftigen wir uns, z. B. für die Einsatzplanung. Dabei spielen das Wetter, Krankheits- und Urlaubstage eine wichtige Rolle, hier kann die KI aufgrund bereits vorhandener Daten planen und quasi in die Zukunft schauen.

CS: Herr Simon, planen Sie weitere Schritte in Bezug auf die Digitalisierung Ihres Betriebs?

Mario Simon: Natürlich. Egal ob wir analog oder digital denken, für mich geht es immer darum, wie ich Prozesse und Abläufe optimieren kann. Wir werden daher einen Unternehmenschat angehen, bei dem die Kommunikation und auch die Termine in den Bauakten gespeichert werden, gleiches gilt für den E-Mail-Ein- und Ausgang. Mein Wunsch ist, dass ich irgendwann eine Bauakte öffne und alle Dokumente und Informationen von A bis Z digital vorliegen habe.

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