Interview mit Björn Wolff, COO und Vorstand Vertrieb & Marketing
der Hottgenroth Software AG
Die Ökobilanzierung von Wohn- und Geschäftsgebäuden zeigt die Umweltwirkung von der Erbauung über den Betrieb der Immobilie bis hin zur Entsorgung und Weiterverwertung ihrer Komponenten auf. Die COMPUTER SPEZIAL-Redaktion sprach mit Björn Wolff, COO und Vorstand Vertrieb & Marketing der Hottgenroth Software AG, u. a. über die zukünftigen Anforderungen zur CO2-Bilanzierung, die auf Planer und Berater zukommen sowie die Lösungen, die das Softwareunternehmen hier anbietet.
Björn Wolff: Als Hersteller von Softwarewerkzeugen entwickeln wir seit vielen Jahren Produkte, welche die Umsetzung von Energieeinsparmaßnahmen in Gebäuden beschleunigen sollen. Die Politik kündigte an, dass bei der Betrachtungsweise der Umweltwirkungen von Bauobjekten deren kompletter Lebenszyklus einzubeziehen ist. Also auch Faktoren wie der Energieverbauch bei Erzeugung der Materialien, Transport, Rückbau und mehr. Uns war sofort klar: Hier fehlen praktiable Lösungen!
CS: Welche Bereiche werden bei der Betrachtung der CO2-Emissionen im Gebäudesektor berücksichtigt?
Björn Wolff: Das kommt ganz auf das verwendete Verfahren an. Wir haben uns das “Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude” (QNG) angeschaut, weil es relevant für das Förderprogramm des Bundes (BEG) ist. Vorrangiges Ziel ist hier die Ermittlung von GWP-Werten (Global Warming Potential/Treibhausgaspotenzial) und dem PENRT (Nicht erneuerbarer Primärenergiebedarf). Das QNG hält fest, dass hierzu bestimmte Szenarien aus den Bereichen Herstellung (A1-A3), Nutzung (B4+6) und Entsorgung (C 3+4) herangezogen und bewertet werden.
Björn Wolff: Wir erkennen deutlich das Bestreben zur Erweiterung der bisherigen Bewertungswelt, wie wir sie aus jedem Energieausweis kennen. Hier finden wir Kennzahlen zu Primärenergie, Endenergie und dem Energieverlust. Das CO2-Äquivalent oder auch CO2 pro m² soll unserer Interpretation nach flächendeckend eingeführt werden. Die neue Bewertungswelt hat es im Detail in sich. Das bedeutet, dass man nicht mehr nur die Energie bei laufendem Betrieb oder die Kostenauswirkungen berücksichtig. Man muss sich auch mit den verwendeten Materialen, Produkten und vor allem mit deren Hintergründen befassen.
Björn Wolff: Zur Antragsstellung bei der KfW wird seit April 2022 unter anderem eine Kombination aus Bilanzbetrachtung (z. B. nach DIN V 18599) und Ökobilanzierung benötigt, welche die QNG-Anforderungen erfüllt. Aktuell verweist insbesondere die BEG auf die Erfüllung dieser Anforderung zur Fördermittelbewilligung bei Bauvorhaben. Mit Vorausblick hatten wir ‚ECO-CAD‘ da bereits 6 Monate auf dem Markt. Das Programm zur Ökobilanzierung ermittelt schnell und effizient den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden gemäß den QNG-Kriterien, die ich bereits oben aufgeführt hatte. Besonders spannend war folgende Erkenntnis für uns: Der eigentliche Knackpunkt dieser Anforderungen ist die zuverlässige Mengenermittlung eines Gebäudes. Denn die ist ohne CAD-Unterstützung kaum möglich. Unsere Kunden bekommen aber bereits seit vielen Jahren frei Haus eine einfach zu bedienende CAD für die Gebäudemodellierung mitgeliefert. Also müssen diese sich nur noch mit der Zuordnung der bereits ermittelten Mengen/Massen des Gebäudes und der Anlagentechnik zu den passenden Einträgen der ‚ÖKOBAUDAT‘ beschäftigen.
Björn Wolff: Aus meiner Sicht gibt es derzeit noch zu viele Akteure, Ideen und Lösungsansätze. Sie alle nutzen die gleichen Begriffe, unterscheiden sich aber teils erheblich in der Betrachtungsweise. Ökobilanzierung und LCA (Lifecycle Assessment) sind zwar bereits teilweise normiert, aber noch unterliegen sie keinen zwingenden Verweisen in Gesetzen oder Verordnungen. So gibt es in der Interpretation der Ökobilanzierung erheblichen Spielraum. Zwischen einer Ökobilanzierung die man für Förderanträge, und ggf. bald auch für gesetzliche Nachweise, benötigt und den klassischen Zertifizierungssystemen, wie DGNB, BiRN, STI und so weiter, gibt es nach wie vor große Unterschiede in den Sichtweisen und Bewertungsfaktoren. Hier wünschen wir uns die Formulierung klarer Rahmenbedingungen, die auch Abgrenzungen deutlich machen.
Björn Wolff: Das sehen wir nicht nur vor: Die Bilanzierung von Nichtwohngebäuden ist seit Juni mit ‚ECO-CAD‘ möglich. Die Ermittlung des Anforderungswertes enthält hier weitere Abfragen zu bestimmten Gebäudebestandteilen (z. B. Aufzüge, Rolltreppen etc.). Es wird zudem ein Referenzgebäude in Anlehnung an das Referenzgebäude für die Berechnung nach GEG definiert und bilanziert; allerdings mit modifizierten Randbedingungen.
Björn Wolff: Mit Blick auf die nächsten beiden Jahre erwarten wir für 2023 eine stärkere Verankerung des Themas Ökobilanzierung in die Förderlandschaft. Ob als Anreiz oder als Pflicht bleibt abzuwarten. Das angekündigte neue Programm “Klimafreundliches Bauen” wird noch ausgearbeitet und hält sicherlich die eine oder andere Änderung bereit. Noch gespannter sind wir auf die Anpassungen des GEG – nicht nur die der Novellen, sondern allgemein. Hier erwarten wir zum 1. Januar 2024 erhebliche Überarbeitungen. Deshalb bereiten wir unsere Datenerfassungsmethoden auf Basis unseres Datenmodells so vor, dass wir in kurzen Entwicklungszeiten sehr schnell weitere Auswertungsmöglichkeiten in unsere Software implementieren können.