Nachhaltige Baukultur mit integraler BIM-Planung

Fachplaner und Architekten im offenen Dialog

Die Verbindung ­jahrhundertealter Kulturgeschichte, Baukunst und Bauhistorie prägen das Freilichtmuseum Detmold des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Auf den Gelände soll neben mehr als 120 historischen Gebäuden aus der Region der Neubau eines Eingangs- und Ausstellungsgebäudes realisiert werden. Kommt ein Fokus zur CO2-Neutralität dazu, sind digitale Werkzeuge nötig, um in allen Projektphasen der TGA-, ELT- oder Tragwerksplanung arbeitsfähig zu sein. Mit BIM-Daten sollen Fachplaner und Architekten in einen offenen Dialog gebracht werden.

Deutschlands größtes Freilichtmuseum ist in Detmold zu finden, wo jährlich über 200.000 Besucher zu finden sind.
Bild: AVP Becker

Deutschlands größtes Freilichtmuseum ist in Detmold zu finden, wo jährlich über 200.000 Besucher zu finden sind.
Bild: AVP Becker
Historische Gebäude oder komplette Hofanlagen mit Nebengebäuden und Umfassungsmauern verschwinden laut dem LWL immer mehr aus dem Bild ländlich geprägter Regionen in Deutschland. Häufig sind diese im schlechten Zustand, oft unbewohnt und weichen Neubauprojekten für Wohnen oder Gewerbe. Umso wichtiger seien daher angelegte Freilichtmuseen, die solche Strukturen zusammentragen und für Besucher erlebbar machen sollen. Das Freilichtmuseum in Detmold wird jährlich von über 200.000 Gästen besucht. Den Besuchern werden historischer Kontext, Funktionen und baukonstruktive sowie regionale Besonderheiten erläutert. Ein Anspruch, der sich auch im neu geplanten Eingangs- und Ausstellungsgebäude widerspiegeln soll. Hinzu kommt, dass die differenzierte Auswahl der umgesiedelten Gebäude, ihr vorsichtiger und dokumentierter Rückbau, ihre Konservierung und ihr originalgetreuer Wiederaufbau vor Ort einen komplexen Prozess darstellen.

Nachhaltigkeit als verbindendes Element

Darüber hinaus steht in Detmold Nachhaltigkeit im Fokus. Der Neubau des Ausstellungs- und Besucherzentrums soll ein Leuchtturmprojekt nachhaltigen Bauens werden und ein Beispiel dafür sein, wie öffentliche Bauten in Zukunft zu einer ganzheitlichen und ökologischen Baukultur beitragen können. Zusätzlich streben Bauherr und Architekturbüro die höchste DGNB-Bewertungsstufe in Platin für den CO2-neutral bilanzierten Neubau an.

Nachwachsende oder recycelte Rohstoffe wie Holz, Stroh oder Lehm sollen eine konservatorische Gebäudestruktur ermöglichen, die energieintensive Gebäudetechnik minimiert.
Bild: ACMS Architekten

Nachwachsende oder recycelte Rohstoffe wie Holz, Stroh oder Lehm sollen eine konservatorische Gebäudestruktur ermöglichen, die energieintensive Gebäudetechnik minimiert.
Bild: ACMS Architekten
Doch Museen sind nach Aussagen des Wuppertaler Architekturbüro ACMS häufig energetisch problematisch, was sich aus ihrer Funktion, der aufwendigen Gebäudetechnik und einer oft unter Denkmalschutz stehenden Bausubstanz ergibt. Für das LWL-Freilichtmuseum entwickelte das Büro deshalb einen neuen Typus von Museumsgebäuden. Beim Eingangs- und Ausstellungsgebäude steht die Energieeinsparung im Mittelpunkt, was sich in einem ganzheitlich nachhaltigen Konzept manifestiert. Das Zusammenspiel nachwachsender oder bereits recycelter Rohstoffe wie Holz, Stroh oder Lehm soll eine Gebäudestruktur ermöglichen, die auch konservatorisch funktionieren wird. Energieintensive Gebäudetechnik werde dadurch minimiert und die für den Betrieb notwendige Energie soll vollständig aus regenerativen Energiequellen gedeckt werden.

Digitale Werkzeuge in allen Projektphasen

Eine weitere Besonderheit des Projekts liegt in der außergewöhnlichen Topografie des Ortes: 20 m Höhenunterschied sind so zu bewältigen, dass sie nach Angaben des Planungsbüros „fließend, möglichst stufenlos“ auf dem Ausstellungsweg im und am Gebäude überwunden werden. Mit Empfangs-, Ausstellungs- und Servicegebäude soll es drei Trittsteine geben. Michael Müller, geschäftsführender ACMS-Gesellschafter, sagt: „Wir haben die Baumasse geteilt, um ihr die Massivität zu nehmen. Die Gliederung wiederum ergab sich aus den drei Funktionsbereichen. Im rückwärtigen Bereich fassen wir die Baukörper mit einem gemeinsamen Foyer zusammen. Es liegt unterhalb des Terrains und wird über eine große Freitreppe und den Erlebnisweg, von der Straße zum Eingang führend, erschlossen.“

Der Einsatz digitaler Planungswerkzeuge ist für einen ganzheitlichen Projektansatz die Basis, betont Müller. Sein Büro arbeitet mit der Software „Allplan“ als zentrales BIM-Planungswerkzeug. In dem Programm wird das gesamte Projekt modelliert – inklusive der Topografie, in die die drei Gebäudeteile eingebettet sind. Die orthogonale Form, die Ebenensprünge und die komplexe Dach- und Fassadenentwicklung wären laut den Architekten mit einer 2D-basierten Planung nicht möglich gewesen. Digitale Werkzeuge werden in allen Projektphasen eingesetzt und kommen z. B. auch für den Holzabbund an den CNC-Fräsmaschinen zum Einsatz. Neben der konstruktiven Qualität, die für den Museumsbau sichergestellt sind, dienen sie der energetischen Berechnung und umfassender CO2-Bilanzierung. „Die Digitalisierung ist eine technische Notwendigkeit für unser Handeln. Ohne digitale Werkzeuge oder den Einsatz von BIM könnten wir viele Aufgaben in unseren Projekten nur schwer bewältigen“, sagt Müller.

Die Digitalisierung ist eine technische Notwendigkeit für unser Handeln. Ohne digitale Werkzeuge oder den Einsatz von BIM könnten wir viele Aufgaben in unseren Projekten nur schwer bewältigen.
Michael Müller, Geschäftsführender Gesellschafter, ACMS Architekten GmbH

Planungssicherheit schaffen, Fehlerquellen minimieren

Ein BIM-Abwicklungsplan lag zum Zeitpunkt der Beauftragung durch die LWL 2019 nicht vor. Die Modellierungsqualität und -tiefe sowie die Austauschparameter beim IFC-Datenaustausch mit den beteiligten Fachplanungen wurden von der Projektleitung bei ACMS gemeinsam mit den Büros abgestimmt. Im Sinne des inzwischen forcierten Level of Information Need (LOIN) gab es keine einheitliche Modellierungstiefe und Attribuierung der Bauteile. Zu spezifisch sind nach Bekunden des Planungsbüros die Anforderungen (und damit die jedem Bauteil im Architekturmodell zugeordneten Bauteilinformationen) in den verschiedenen Disziplinen wie TGA-, ELT- oder Tragwerksplanung, als dass über alle Planungsphasen hinweg immer mit dem gleichen Level of Geometry (LOG) oder Level of Detail (LOD) gearbeitet werden sollte. Nicht jeder der Projektbeteiligten benötigt jede Information zu allen Bauteilen, zu Konstruktion und Tragwerk in der gleichen Informationstiefe. Nach Bekunden des Architekturbüros berücksichtigen moderne BIM-Planungen diese bereits. „Die BIM-Software setzen wir außerdem für unsere Mengen- und Kostenberechnung ein. So schaffen wir wichtige Planungs- und Kostensicherheit“, ergänzt Laura Heidelauf, Assoziierte Partnerin bei ACMS Architekten GmbH.

Über die integrierte IFC-Schnittstelle tauscht das Büro sein Architekturmodell mit den Fachplanungsbüros aus und erhält die Fachmodelle zur Koordinierung mit der eigenen Entwurfsplanung zurück. Die Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagement der BIM-Planung erfolgt nach dem bidirektionalen Austausch über die Modellkoordinierungssoftware „Solibri“ von Graphisoft. Hierbei werden im Koordinationsmodell des Architekturbüros die Fachplanungen mit der Architekturplanung zusammengeführt und auf Bauteilkollisionen sowie weitere Fehlerpotenziale (Normenkonformität, Wand- und Deckendurchbrüche etc.) hin überprüft. Darüber hinaus wird das „Allplan“-Modell in der Entwurfsphase für die Kostenberechnung genutzt: Durch die bauteilbezogene Modellierung können Massen und Mengen genau ermittelt und die Kosten bereits Monate vor dem Bau des Eingangs- und Ausstellungsgebäudes für das LWL-Freilichtmuseum Detmold im Projekt benannt werden.

Mit BIM ist die integrale Planung noch viel wichtiger geworden. Wir müssen es schaffen, Fachplaner und Architekten in einen offenen Dialog zu bringen. Wenn uns das gelingt, sind wir einen großen Schritt weitergekommen.
Michael Müller, Geschäftsführender Gesellschafter, ACMS Architekten GmbH

Offener Dialog bei integraler Planung

Auf einer Fläche von rund 90 Hektar sind mehr als 120 historische Gebäude aus der Region zusammengetragen worden, jährlich kommen über 200.000 Besucher nach Detmold.
Bild: ACMS Architekten

Auf einer Fläche von rund 90 Hektar sind mehr als 120 historische Gebäude aus der Region zusammengetragen worden, jährlich kommen über 200.000 Besucher nach Detmold.
Bild: ACMS Architekten
Darüber, dass das neue Museumsgebäude eine Vorbildwirkung für viele andere öffentliche Bauten haben wird, sind sich die Beteiligten einig. Damit das Zusammenspiel der beteiligten Fachplanungen und der Architekten in einem integralen und interdisziplinären Dialog bestmöglich funktioniert, ist das Projekt als Open-BIM-Planung angelegt. Dies soll dabei helfen, dass für umfangreiche Planungs- und Koordinierungsprozesse ein optimales Ergebnis erzielt und die Qualität der eigenen und fremden Leistungen stimmt. Müller sieht hierbei einen zentralen Aspekt für zukünftige Projekte: „Mit BIM ist die integrale Planung noch viel wichtiger geworden. Wir müssen es schaffen, Fachplaner und Architekten in einen offenen Dialog zu bringen. Wenn uns das gelingt, sind wir einen großen Schritt weitergekommen.“

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