Havellandautobahn: BIM aus einer Hand

Modellbasierte Arbeitsweise zeigt frühzeitig Kollisionen

Seit 2020 muss für den Infrastrukturbau in Deutschland die BIM-Methode angewendet werden. Und im Bundesfernstraßenbau sollen ab 2025 Planung, Ausführung, Betrieb und Erhaltung des Regelbetriebs von Autobahnen und den dazugehörigen Bauprojekten BIM-basiert sein. Eines der Pilotprojekte, das die diversen Vorteile der Methodik zeigt, ist die Havellandautobahn in Brandenburg. Durch die modellbasierte Arbeitsweise wurden z. B. sowohl räumliche als auch terminliche Kollisionen frühzeitig im Projekt aufgezeigt.

Gemäß dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen des Bundes muss seit 2020 der Infrastrukturbau in Deutschland unter Verwendung der BIM-Methode erfolgen. Laut Masterplan BIM im Bundesfernstraßenbau sollen zudem die BIM-basierte Planung, Ausführung sowie Betrieb und Erhaltung ab 2025 Teil des Regelbetriebs von Autobahnen und den dazugehörigen Bauprojekten sein. Damit sich dieser Plan tatsächlich realisieren lässt, werden seit einigen Jahren bundesweit diverse Pilotprojekte durchgeführt, um die modellbasierte Arbeitsweise ganzheitlich zu testen und zu etablieren. Eines davon ist das „Verfügbarkeitsmodell A 10/A 24“, auch Havellandautobahn genannt.

In dessen Rahmen wird zwischen dem Autobahndreieck Pankow und der Anschlussstelle Neuruppin in Brandenburg ein größerer Abschnitt der A 10 sechsspurig ausgebaut sowie ein Teil der A 24 grunderneuert. Ein Bauabschnitt auf der A 24 bildet gleichsam das eigentliche BIM-Pilotprojekt. Das Besondere: Es ist das erste Projekt, bei dem die Leistungen Planung, Ausführung und Erhaltung mit BIM allesamt in einer Hand liegen – bei der Projektgesellschaft Havellandautobahn GmbH & Co. KG. Das Technische Büro der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG wurde in diesem OPEN-BIM-Projekt mit der Entwurfs- und Ausführungsplanung entsprechend den Leistungsphasen 3, 4 und 5 nach HOAI für zwei Ingenieurbauwerke beauftragt.

Brückenersatzneubau und Lärmschutzwand

Der mittels BIM umzusetzende Bauabschnitt auf der A 24 hat eine Länge von 5.500 Metern und umfasst neben zwei neuen Tank- und Rastanlagen auch zwei Ingenieurbauwerke. Dabei handelt es sich zum einen um einen Ersatzneubau der Brücke über die Ortsverbindungsstraße Kuhhorst-Linum (Bauwerk 2) und zum anderen um eine 265 Meter lange Lärmschutzwand (X-X). Bei beiden zeichnete sich Wayss & Freytag Ingenieurbau AG zunächst für die Erstellung eines Entwurfes und anschließend für die Ausführungsplanung mit Schal-, Bewehrungs-, Absteck-, Übersichts- und Detailplänen sowie für die Bestandsdokumentation mit den Änderungen der Bauausführung verantwortlich.

Bauwerk 2 ist als Einfeld-Bauwerk konzipiert, bestehend aus zwei Teilbauwerken mit Überbauten als Vollplattenquerschnitt. Die Überbauten aus Stahlbeton liegen mittels Betongelenken auf flach gegründeten Kastenwiderlagern auf. Hergestellt wird das Bauwerk in Ortbetonbauweise. Dabei erfolgt die Fertigung des Überbaus auf einem bodengestützten Lehrgerüst, wobei der Verkehrsraum zur bauzeitlichen Verkehrsführung auf der Gemeindestraße unterhalb des Bauwerkes freizuhalten ist. Dementsprechend wird der Autobahnverkehr über zwei bauzeitliche 4+0-Verkehrsführungen im Baubereich verschwenkt. Eine schalltechnische Untersuchung weist in diesem Streckenabschnitt aktive Lärmschutzmaßnahmen zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte aus. Aus diesem Grund ist an der Tank- und Rastanlage Linumer Bruch zwischen Baukilometer 225+246 und 225+511 besagte Lärmschutzwand X-X neu zu errichten.

Fordernde Phasen-, Entwurfs- und Ausführungsplanung

Die Erstellung eines neuen Brückenbauwerkes an gleicher Stelle und unter laufendem Betrieb stellt besondere Anforderungen an die Phasenplanung und somit auch an die Entwurfs- und Ausführungsplanung. Bauzeitliche 4+0-Verkehrsführungen sowohl auf dem bestehenden Bauwerk als auch später auf dem Neubau erfordern eine genaue Ablaufplanung und Berücksichtigung besonderer geometrischer Abhängigkeiten. Dies betrifft das Bestandsbauwerk und die Planung des Mittellängsverbaus ebenso wie beide Bauabschnitte des neuen Bauwerkes 2.

Die Planungsgrundlage bildete eine Punktwolke, auf deren Basis das Bestandsmodell des bestehenden Brückenbauwerkes sowie das Geländemodell erzeugt und in der weiteren Planung berücksichtigt und integriert wurden. Da die modellbasierte Bearbeitung dem standardmäßigen Workflow im Technischen Büro entspricht, konnte mithilfe der BIM-Software des Anbieters Allplan sowohl das Entwurfs- als auch das Ausführungsmodell problemlos im erforderlichen Level of Information Need (LOIN) 200 respektive 400 durchgängig in 3D modelliert werden. Das Übergabemodell für die Betriebs- und Erhaltungsphase weist einen LOIN von 500 auf. Die Planung des Mittellängsverbaus erfolgte mithilfe von SmartParts, das sind parametrische 3D-Elemente der Software. Dank dieser Werkzeuge konnten die Spundwände, Anker, Gurtungen und der Stahlbau im Einklang mit den verschiedenen Bauabläufen optimal und vor allem konfliktfrei für die Bauphasen positioniert werden. Dabei ließen sich auch Anpassungen und Änderungen dank der SmartParts schnell umsetzen.

„Die eigentliche Ausführungsplanung, ob in 2D oder 3D, hat sich in jahrzehntelanger Anwendung bewährt“, sagt Thomas Grubert, Leitung Technisches Büro Wayss & Freytag Ingenieurbau AG. Die Erstellung der Entwurfs- und Ausführungsplanung, insbesondere die Schalpläne, erfolgte grundsätzlich aus dem 3D-Modell. Einige Details wie etwa Richtzeichnungen wurden in 2D ergänzt. Schnittableitungen aus dem Modell ließen sich schnell und präzise erzeugen. Nachträgliche Änderungen am Modell wurden zudem automatisch in die Planableitung übernommen. Sämtliche Bewehrungsführungen – egal, ob normal oder komplex – ließen sich mit der 3D-Bewehrungsplanung in der Software akkurat, übersichtlich und konfliktfrei entwickeln. Dank des Modells war darüber hinaus bereits die Grundlage für die Schalungsplanung gegeben, die durch den Nachunternehmer Doka für das Schalungskonzept genutzt wurde.

Problemlose Integration des Allplan-Modells

„Da das Projekt herstellerunabhängig in OPEN BIM zu erfolgen hatte, war ein reibungsloses Zusammenspiel verschiedener Softwarelösungen von höchster Bedeutung. Die modellbasierte Arbeitsweise hat frühzeitig im Projekt sowohl räumliche als auch terminliche Kollisionen aufzeigen können. Das in Allplan erstellte Modell ließ sich problemlos in das föderierte Gesamtmodell integrieren“, sagt Thomas Tschickardt, BIM-Manager der ARGE A10/A24 Havellandautobahn und Kompetenzbereich BIM-Management Wayss & Freytag Ingenieurbau AG.

Ebenso konnte eine 4D-Bauablaufplanung ohne Probleme auf Basis des Allplan-Modells erstellt werden. Das Anlegen der entsprechenden Merkmale in den einzelnen Modellelementen wurde direkt in der Software umgesetzt. Über die IFC-Schnittstelle konnten die Allplan-Daten über die BIM-Koordinationssoftware „DESITE MD pro“ ausgetauscht und mit dem Terminplan aus „MS Project“ verknüpft werden. Aufgrund einer regelbasierten Verknüpfung zwischen dem geometrischen Modell und dem Terminplan ließ sich zudem die Verlinkung auch bei Planungsänderungen und Fortschreibungen in kürzester Zeit zu einem neuen Index aktualisieren.

BIM in der Betriebs- und Erhaltungsphase

Entsprechend den Vorgaben gemäß den Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) und dem BIM-Abwicklungsplan (BAP), die in Absprache mit der ARGE A10/A24 Havellandautobahn (Wayss & Freytag Ingenieurbau AG und HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft m. b. H.) erstellt wurden, wurden bereits in der Planungsphase wichtige semantische Merkmale für die Betriebs- und Erhaltungsphase definiert. Durch den BAP werden die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten und die Interaktionen jeder Organisation bezüglich der BIM-Informationen und Bauwerksinformations-modelle festgelegt. Aufgrund der rapiden Entwicklung in sämtlichen Bereichen des digitalen Planens und Bauens handelt es sich beim BAP um ein „lebendiges“ Dokument, das im Projektverlauf kontinuierlich fortgeschrieben wird.

Zu diesen dynamischen Informationen zählen bspw. solche, die gemäß der zentralen Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke erforderlich sind. Die Ausführungsmodelle werden dementsprechend mit bauausführlichen Änderungen und Informationen (z. B. des verbauten Betons und seiner Kennwerte) ergänzt. Hierdurch lassen sich in der Betriebs- und Erhaltungsphase auf Grundlage der in Allplan erstellten Modelle von Bauwerk 2 und Lärmschutzwand X-X zwei BIM-Anwendungsfälle umsetzen: 1. Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen und 2. der Zustandswerte gemäß den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen“ des Straßenbaus der BAB A10/A24.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 01/2024 Digitaler Zwilling im Einsatz

Wie die Köhlbrandbrücke in Hamburg trotz ihres Alters mit BIM-Daten in Betrieb gehalten wird

Die 1974 erbaute Köhlbrandbrücke ist die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands. Sie wird täglich von rund 36.000 Fahrzeugen befahren und spielt damit eine wichtige Rolle für die lokale...

mehr
Ausgabe 01/2023 BIM im Praxisbeispiel

Integrale BIM-Planung für Strahlenklinikum Stuttgart

BIM etabliert sich im Bauprozess. Das zeigt sich deutlich, denn immer mehr Projekte werden mit der digitalen Planungsmethode realisiert. Dabei geht es nicht mehr darum, ab welcher Projektgröße sich...

mehr
Ausgabe 02/2020

Die Tekla-DACH-BIM-Awards 2020

Die Sieger der Tekla-DACH-BIM Awards-2020 stehen fest. Der Schweizer Totalunternehmer Methabau hat mit dem Projekt Rütihof den ersten Platz erreicht und wurde darüber hi­naus mit dem erstmals...

mehr

Open BIM-Zertifizierung für Allplan

Zertifikat von Forschungsprojekt BIMSWARM

Als erste CAD-Lösung wurde „Allplan“ im Rahmen des Forschungsprojektes BIMSWARM zertifiziert. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Digitalisierung der Baubranche voranzutreiben und hierfür Standards...

mehr
Ausgabe 01/2019 Neues Hochhaus für Frankfurts Skyline

Bewehrungsplanung in 2D und 3D

Die Skyline von Frankfurt am Main ist europaweit einzigartig. Allein neun der etwa 30 Gebäude von über 100 m Höhe zählen zu den zehn höchsten der Bundesrepublik. Im Frühjahr 2019 soll dieses...

mehr